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Gemeinsam hinschauen: Mit Pflegekindern über Armut sprechen

Heute haben wir, wie so oft, den Samstag mit einem entspannten Frühstück begonnen. Wir schauen uns dabei dann gerne gemeinsam etwas an – und damit uns Eltern dabei nicht das schlechte Gewissen beißt, meistens etwas aus der Sparte „Bildungsfernsehen“ 🙂
Heute war das der Beitrag „Wenn das Geld nicht reicht – was macht Armut mit uns?“ aus der Reihe Terra Xplore in der ZDF-Mediathek. Die Sendung begann mit einem Interview zwischen dem Psychologen Dr. Leon Windscheid und Stefan, der seit sieben Jahren auf der Straße lebt, und klärt im Anschluss über Ursachen und Folgen auf, mit denen Armutsbetroffene konfrontiert werden.
Nicht von ungefähr saß unser Pflegesohn schon nach wenigen Worten wie gebannt vor dem Bildschirm, denn auch ein Teil seiner Familie erlebt relative Armut.
Und dann kamen die ersten Fragen…

Warum darüber sprechen?

Das Thema Armut hat für viele Pflegekinder eine ganz besondere Bedeutung und stellt oft eine unsichtbare Grenze in ihrem Leben dar: die Diskrepanz zwischen der Herkunftsfamilie und der Pflegefamilie, wenn es um materielle Sicherheit und Lebensstandard geht.
Viele Pflegekinder kommen aus Familien, die stark von Armut betroffen sind. Im Jahr 2022 lebten laut Statistischem Bundesamt 65% der in Obhut genommenen jungen Menschen oder ihre Herkunftsfamilien ganz oder teilweise von staatlichen Hilfen.
Diese finanziellen Sorgen der Herkunftsfamilien werden oft von Schamgefühlen begleitet oder von der Erwartungshaltung, auch von Seiten der Pflegefamilie mit entsprechenden Vorurteilen konfrontiert zu werden.

Unreflektierte Haltungen und fehlender Austausch zwischen beiden Familien können so die Beziehung sehr belasten und bei den Kindern Gefühle von Unsicherheit, Scham und vielleicht sogar Verantwortung auslösen. Gleichzeitig erleben Kinder in ihrer Pflegefamilie oft einen ganz anderen Alltag: ein sicherer Wohnraum, ein gefüllter Kühlschrank, finanzielle Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten und Urlaub. Diese zwei Welten prallen in den Erfahrungen des Kindes aufeinander und können für innere Konflikte sorgen.

Was macht Armut mit uns?

Die Sendung zeigt eindrücklich, dass Armut jeden treffen kann – durch plötzliche Lebensereignisse wie Krankheit oder Behinderung, aber auch durch Arbeitslosigkeit oder andere Schicksalsschläge. Diese plötzliche Veränderung kann nicht nur finanzielle, sondern auch psychische Folgen haben: Armut macht unglücklich, gestresst und kann im Extremfall zu Depressionen führen.
Wie die Belastung durch Geldmangel das Verhalten beeinflussen kann, wurde anhand eines Experiments verdeutlicht. Dr. Leon Windscheid trifft Menschen, die entweder in eine arme Familie hineingeboren wurden oder durch verschiedene Auslöser arm geworden sind. Dabei wird klar: Wer als Bittsteller auf Sozialhilfe angewiesen ist, erfährt oft wenig Respekt und Wertschätzung von der Gesellschaft.

Diese Erfahrungen können das Selbstwertgefühl der Betroffenen nachhaltig beeinträchtigen und ihnen die Kraft nehmen, sich aus der Situation zu befreien. Um so wichtiger ist es, dass wir als Gesellschaft respektvoll mit Menschen umgehen, die von Armut betroffen sind, und unseren Kindern vermitteln, dass arm zu sein keine Schande ist, sondern ein Umstand, der Mitgefühl und Respekt verdient.

Einfühlsam ins Gespräch kommen

Der Film kann eine gute Grundlage für ein offenes Gespräch zwischen dir und deinem Pflegekind sein. Ab einem gewissen Alter werden die meisten Kinder von sich aus Fragen stellen, da sie sich Gerechtigkeit und Harmonie für alle Mitmenschen wünschen. Sie wundern sich darüber, wie es zu so unterschiedlichen Lebensweisen kommen kann, und den Menschen nicht geholfen wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dein Pflegekind auch einen Bezug zu eigenen Erfahrungen oder zu seiner Herkunftsfamilie herstellen und dazu Fragen stellen.
Sollten diese ausbleiben, kannst du die Gelegenheit dennoch nutzen, um für dein Pflegekind einen Zugang zum Thema und vielleicht auch zu den Umständen seiner Herkunft zu schaffen:

  • Über was hast du nachgedacht, als du den Film gesehen hast?
  • Kennst du jemanden, der arm ist/sich arm fühlt?
  • Was glaubst du, wann ist jemand arm? Was fehlt dann?

Zeigt eurem Pflegekind, dass es okay ist, darüber zu sprechen, und dass Scham oder Schuldgefühle keinen Platz haben müssen. Die Botschaft sollte sein: Armut ist keine persönliche Schwäche, sondern eine schwierige Lebenssituation, die Respekt und Mitgefühl verdient.

Respekt und Wertschätzung vermitteln

Ein zentrales Thema könnte auch sein, wie man respektvoll über Armut spricht. Es ist wichtig, dass Pflegekinder nicht das Gefühl bekommen, ihre Herkunftsfamilie abwerten zu müssen, um sich in der Pflegefamilie aufgehoben zu fühlen. Ihr könnt gemeinsam überlegen, wie man über finanzielle Schwierigkeiten sprechen kann, ohne Menschen zu verurteilen.

Gemeinsam Brücken bauen

Der Beitrag von Terra Xplore ist nicht nur informativ, sondern öffnet Türen zu einem Thema, das im Alltag oft unausgesprochen bleibt. Nutzt diese Chance, um eure Pflegekinder zu stärken und sie mit dem Thema in Kontakt zu bringen. Stärkt ihr Verständnis für Ursachen und Folgen, vermindert dadurch die Gefahr der Stigmatisierung oder Fehlinterpretation. Baut Brücken zwischen den Welten, in denen sie leben, und gebt ihnen ein Gefühl der Sicherheit, dass beide Teile ihres Lebens akzeptiert und respektiert werden.

Als wir heute gemeinsam über Stefans Geschichte und die vielen anderen Geschichten in der Sendung gesprochen haben, war für unseren Pflegesohn am Ende die Erkenntnis wichtig, dass die Menschen gar nichts dafür können, dass sie arm sind, und dass es sehr schwer ist, daran etwas zu ändern. Und natürlich haben wir auch über seine eigenen Berührrungspunkte mit dem Thema gesprochen.

Biografiearbeit mit Pflegekindern

Die Vergangenheit aufzuarbeiten ist vor allem für Pflegekinder eine wichtige Aufgabe, um schwierige Erfahrungen in den richtigen Kontext zu bringen. Warum es für die Bildung einer gesunden Identität essenziell ist, und wie du selbst Biografiearbeit mit deinem Kind machen kannst, erfährst du in diesem Blog oder direkt von mir. 🙂

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